Innere musik – skizzen zu einem spirituellen musikverständnis
Von innen heraus
Was im eigentlichen Sinn
[…] ausgedrückt werden kann,
das muss von innen heraus kommen;
das muss von innen her Form gewinnen.
Es darf nicht von außen her kommen,
sondern von innen muss es nach außen kommen.
Eigentlich lebt es im Innersten der Seele.
Da sind dir alle Dinge gegenwärtig:
Dort im Innern ist ihr Leben und Streben,
ihr Bestes und ihr Höchstes.
Weshalb du davon nichts verspürst?
Weil du da (noch) nicht beheimatet bist.
Meister Eckhart: Die deutschen Werke,
hrsg. von Josef Quint, Band 1, 60 (170)
Es klingt zunächst provokant, doch scheinen in vieler Hinsicht die äußeren künstlerischen Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks erschöpft: angefangen von der geforderten vollkommenen Beherrschung des Instruments (Virtuosität) über fast jede denkbare Aufführungspraxis (authentisch-historisch oder modern u.a.) bis hin zu jeglichem denkbaren Stil – das alles auch in Kombination. Das betrifft nicht nur die westliche Musik der letzten 400, 500 Jahre, die den Schwerpunkt des Musikstudiums bilden, sondern ebenso die Musik anderer Regionen der Erde und früherer Epochen sowie deren einzelne Verknüpfungen untereinander.
Ebenso verhält es sich mit der gegenwärtigen Verwendung der Musik, so universell sie auch erscheint: Auf der einen Seite gibt es das konsumstimulierende „Hintergrundgeplätscher“ beim Einkaufen, „Eine kleine Nachtmusik“ in der Telefonwarteschleife oder den melodischen Handy-Klingelton, andererseits das bewusst erlebte Kunst-Event auf höchstem und anspruchvollstem Niveau in gediegenem Ambiente.
Der Vollständigkeit halber erwähnt sei ihr dagegen fast untergeordneter Einsatz im Bereich der Therapie, Pädagogik sowie, last not least, als traditionelle, den Gottesdienst ausschmückende Kirchenmusik.
Vorrangig jedoch scheint sie der sinnlichen Befriedigung, Anregung und „Zerstreuung“ zu dienen.
Eine kurze Rückbesinnung: Die Antike hatte einen gänzlich anderen Kunstbegriff als den heutigen. Die „Sendung“ des Künstlers bestand darin, zwischen „oben“ und „unten“ zu vermitteln. Seinen Auftrag erfüllte er mit dem Hymnus als der musikalischen Ausdrucksform.
Im Lauf der Jahrhunderte ging dieses Kunstverständnis und mit ihm der Hymnus leider fast völlig verloren. Ein Wiederanknüpfen an diese antike Auffassung von Kunst könnte neuen Raum für die Musik der Gegenwart erschließen.
Im Hymnus wird eine besondere Form der Feierlichkeit zum Ausdruck gebracht, um Andacht und (göttliche) Verehrung hervorzurufen: Er ist durch und durch spirituell.
Mit seinem Verzicht auf bestimmte formale Regelmäßigkeiten, z.B. bezüglich des Metrums, kann er bei längerem Zuhören das Zeitempfinden aufheben. Dem Hörer kann sich eine andere Bewusstseinsebene erschließen: der zeitlose Anteil im Menschen (Eckharts „Innerstes der Seele“) samt dessen integrierender Wirkung, durch den er sich mit allem Sein verbunden erleben kann.
Wie alles Dynamisch-Lebendige hat auch jeder Ton neben seinem äußeren (sinnlich erfahrbaren) Klang-Körper(!) ein inneres Wesen (das, was eigentlich darin lebt, sich ausdrückt und wirkt).
Voraussetzung und Grundlage für den inneren Ton ist die Haltung und Einstellung des Spielers zu seinem Spiel. Dessen Qualität selbst setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen (wobei in der Aufzählung kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht):
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Gelingt es dem Spieler, wirklich selbstvergessen, möglichst ohne Absicht, zu spielen?
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Gelingt es ihm, das Spiel warm und liebevoll zu gestalten? (nicht gleichzusetzen mit sentimental bzw. süßlich!)
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Kann er spielen, ohne die Präsenz der Stille und des Raums zu stören, ihr was aufzudrücken, sie zu über-tönen(!)? Kann er sogar für sie spielen und alles, was darin ist und lebt?
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Hat er den Mut (das Herz!), sein ganzes Menschsein und Schicksal mit allem Gelingen, aber auch allem Scheitern, in das Spiel einzubringen? Denn nur dadurch wird das Spiel authentisch, glaubwürdig und lebendig – künstlerisch und nicht künstlich.
Der glücklichste Fall wäre, wenn der Spieler vollkommen auf jegliche persönliche Absicht oder eigenen Anspruch verzichten könnte, wenn er nichts bewirken, erreichen, „machen“ oder „originell sein“ möchte. Dann wäre er selbst Instrument eines höheren und größeren ES, das spielt.
Damit könnte das, was „zwischen den Tönen lebt“, wirken und sich vielfältig zeigen:
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Der Hörer hält nach einer Weile inne. Er merkt, dass er nur noch Klänge hört, ohne das Instrument selbst wahrzunehmen. Oder er erlebt Klänge, die sich nach einem ganz anderen Instrument anhören. Oder er hat „irgendetwas“ erlebt und erkennt im Nachhinein, dass es in den Tönen war, die er als solche gar nicht mehr wahrgenommen hatte.
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Er fällt aus dem Erleben von Zeit heraus; dadurch kommt sie ihm viel kürzer oder länger vor oder er empfindet sie überhaupt nicht mehr.
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Die Dimensionen des Raumes verändern sich oder lösen sich auf.
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Plötzliche Erkenntnisse, Ideen oder sonstige Eingebungen ereignen sich.
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Schmerzzustände können völlig aufgelöst („vergessen“) werden.
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Der Hörer nimmt sich wahr als vom Kosmos berührt bzw. getragen
Dieser Idealfall ist jedoch willentlich nicht herbeiführbar. Der Spieler hat es nicht in der Hand, er kann nur Segel setzen, den Wind kann er nicht machen.
Vergleichbar ist dies mit dem Weg des Zen bzw. jeglicher Art von Meditation, die den entäußernden Weg vom Machen zum reinen (=überpersönlichen) Sein übt.
Darbietung |
Charakter |
Wirkung |
Qualität |
durchdacht |
technisch |
faszinierend |
„Innere“ |
lebendig |
individuell |
unterhaltend |
|
liebend |
überpersönlich |
berührend |
29.April 2014
weitergehende Gedanken siehe auch hier